Sebastian Gräb (Universität Würzburg)

„Der politisch-ideologische Sprachgebrauch paramilitärischer Verbände. Eine exemplarische Untersuchung zur politischen Kommunikation in der Weimarer Republik“ – Ein Werkstattbericht

Die Weimarer Republik war von Anfang an mit dem Odium des verlorenen Kriegs belastet. Durch die Militarisierung und Brutalisierung der Gesellschaft in Folge des ersten totalen Krieges kam es in großen Teilen der Bevölkerung zu einer depressiven Leere und Entwurzelung, die Gewaltverherrlichung aber auch einen Schub von Nationalismus und Antisemitismus hervorrief. Gegner der Republik waren dabei auf der rechten wie linken Seite anzutreffen, deren latent antidemokratisches Denken die politische Kultur nachhaltig vergiftete.
Einhergehend mit dieser wachsenden politischen Desorientierung verstärkte sich die politische Radikalisierung im Zuge der wirtschaftlichen Talfahrt. Die politischen Auseinandersetzungen verhärteten sich zunehmend und politische Gewalt wurde zu einer alltäglichen Erscheinung, die sich nicht nur auf der Straße in Krawallen manifestierte, sondern auch verbal ausgetragen wurde – v.a. publizistisch.
Dabei war das politische Pressewesen in der Weimarer Republik höchst ausdifferenziert¹ und deutlich verbandspolitisch geprägt, wodurch diese Zeitschriften „viel stärker als heute Bezug auf andere, zumeist politisch konträr ausgerichtete Zeitungen [nahmen], indem sie diese z.T. ausführlich zitierten und diese Zitate dann eingehend kommentierten“².
So hatten eben auch paramilitärische Verbände wie das Reichsbanner Schwarz – Rot – Gold, der kommunistische Rote Frontkämpferbund, die Bayernwacht, der Stahlhelm und die nationalsozialistische Sturmabteilung (SA) politische Verbandszeitschriften.
Das methodische Vorgehen besteht in einer korpuslinguistischen Untersuchung, wodurch ein empirisch fundiertes Analysemodell gewährleistet ist. Durch eine korpuslinguistische Diskursanalyse (Scharloth/ Bubenhofer 2013) auf Grundlage einer umfangreichen Quellenbasis noch verfügbarer repräsentativer Mitgliederzeitschriften soll in der projektierten Arbeit der konträre Sprachgebrauch dieser militaristischen Verbände für den Zeitraum des letzten halben Jahres der Weimarer Republik herausgearbeitet werden und damit ein wichtiger Beitrag zur Erforschung der sprachlichen „Unterhöhlung“ der ersten deutschen Demokratie geleistet werden, wodurch allgemein ein besseres Verständnis des „Untergangs“ der Weimarer Republik möglich wäre.

Zu den leitenden Fragestellungen zählen u.a. folgende:

• Inwieweit lassen sich durch die sprachwissenschaftliche Analyse politische Denkweisen rekonstruieren und kann damit auf damals vorherrschende Mentalitätsstrukturen und Deutungsmuster geschlossen werden?

• Inwiefern haben die paramilitärischen Verbände gerade in der „Endphase“ der Weimarer Republik 1932/1933 auch sprachlich zur Brutalisierung, Militarisierung und Gewaltverherrlichung der Gesellschaft beigetragen?

• Welche Rückschlüsse auf „Männlichkeitskonzepte“ und damit verbunden „Körperkultur“ lassen sich folgern? Schließlich handelt es sich bei allen zu untersuchenden Verbänden fast ausschließlich um reine „Männerbünde“.

• Unterscheiden sich die einzelnen Verbände in ihrer politisch-ideologischen Wortwahl wirklich so sehr voneinander, oder gab es doch weniger singuläre Phänomene, da insgesamt teilweise eine verbandsübergreifende Verwendung bestimmter Begriffe (bspw. Kamerad) zu beobachten ist?

• Gerade kommunistischer und nationalsozialistischer Sprachgebrauch scheinen weniger konträr zu sein, als zunächst vermutet. Beide Organisationen bedienten sich extremer Parolen und eines aggressiven Sprachstils (extreme Gewaltsamkeit als thematisch-stilistische Tendenz).

• Vor allem gegen Ende der Weimarer Republik lässt sich das Phänomen beobachten, dass sowohl auf der extremen rechten als auch extremen linken politischen Seite erhebliche Fluktuationen zwischen den einzelnen Verbänden stattfanden. Vielleicht lässt sich diese Erscheinung auch anhand ähnlicher Sprachgebrauchsmuster auf Seiten der SA wie des RFB nachzeichnen und dafür ein Erklärungsmodell konstruieren.


 

¹ Vgl. Mergel, Thomas (2004): „Sehr verehrter Kollege“. Zur Symbolik der Sprache im Reichstag der Weimarer Republik. In: Die Wirklichkeit der Symbole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften. Hrsg. v. Rudolf Schlögl. Konstanz, S. 369-394, hier: S. 375.

² Vgl. Eitz, Thorsten (2009): Zum Konzept einer Sprachgeschichte der Weimarer Republik. In: aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur Heft 1, S. 1-17, hier: S. 10.

 

Ausgewählte Literatur:

• BUBENHOFER, Noah (2009): Sprachgebrauchsmuster. Korpuslinguistik als Methode der
Diskurs- und Kulturanalyse. Berlin, New York.

• BUBENHOFER, Noah/SCHARLOTH, Joachim (2013): Korpuslinguistische Diskursanalyse: Der Nutzen empirisch-quantitativer Verfahren. In: Diskurslinguistik im Spannungsfeld von Deskription und Kritik. Hrsg. v. Ingo H. Warnke, Ulrike Meinhof und Martin Reisigl. Berlin, S. 147-168.

• CLASON, Synnöve (1991): Von Schlagwörtern und Schimpfwörtern. Die Abwertung des Liberalismus in der Ideologiesprache der konservativen Revolution. In: Begriffe besetzen. Strategien des Sprachgebrauchs in der Politik. Hrsg. v. Frank Liedtke, Martin Wengeler und Karin Böke. Opladen, S. 144-159.

• EITZ, Thorsten (2009): Zum Konzept einer Sprachgeschichte der Weimarer Republik. In: aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur Heft 1, S. 1-17.

• GIRNTH, Heiko (2002): Sprache und Sprachverwendung in der Politik. Eine Einführung in die linguistische Analyse öffentlich-politischer Kommunikation (= Germanistische Arbeitshefte; Bd. 39). Tübingen.

• LOBENSTEIN-REICHMANN, Anja (2002): Liberalismus, Demokratie, Konservatismus. Moeller van den Bruck, das Begriffssystem eines Konservativen zu Beginn der Weimarer Republik. In: Neue deutsche Sprachgeschichte. Mentalitäts-, kultur- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge (= Studia Linguistica Germanica, Bd. 64). Hrsg. v. Dieter Cherubim, Karlheinz Jakob und Angelika Linke. Berlin, New York, S. 183-206.

• MERGEL, Thomas (2004): „Sehr verehrter Kollege“. Zur Symbolik der Sprache im Reichstag der Weimarer Republik. In: Die Wirklichkeit der Symbole. Grundlagen der Kommunikation in historischen und gegenwärtigen Gesellschaften. Hrsg. v. Rudolf Schlögl. Konstanz, S. 369-394.

• RÖPENACK, Arne von (2002): KPD und NSDAP im Propagandakampf der Weimarer Republik. Eine inhaltsanalytische Untersuchung in Leitartikeln von „Rote Fahne“ und „Angriff“. Stuttgart.

• SAAGE, Richard (1987): Die gefährdete Republik. Porträt der Zeitung des „Reichsbanners Schwarz – Rot – Gold“. In: Arbeiterbewegung, Faschismus, Neokonservatismus. Hrsg. v. dems. Frankfurt a. M., S. 56-80.

• SCHOTTMANN, Christian (1997): Politische Schlagwörter in Deutschland zwischen 1929 und 1934 (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; Bd. 342). Stuttgart.

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